#16 Alleine sein vs. Einsam sein
- Karin

- Nov 25
- 4 min read
Ich weiss ganz genau, wie es sich anfühlt, nicht gerne allein zu sein.Früher hat es mich unglaublich getriggert, wenn mein Mann einmal im Jahr alleine in die Ferien fahren wollte. Wir haben zusammen gearbeitet, waren eigentlich 24/7 zusammen – und trotzdem hat es mich gekränkt. Jedes Mal.
Und heute weiss ich: Es war nicht sein Wunsch, der mich verletzt hat. Es war mein eigener Mangel, mein eigenes Thema. Mein Ego, das angekratzt war.
Wenn du meine letzte Podcastfolge über das „Partner kritisieren“ gehört hast, dann weisst du genau, was ich meine. Damals gab ich ihm die Schuld, dass ich mich so fühlte. Es war viel einfacher, wütend zu sein, als bei mir selbst hinzuschauen.
Mit der Zeit haben wir ein Ritual eingeführt: Einmal im Jahr durfte jeder von uns ganz alleine verreisen. Anfangs fiel mir das extrem schwer. Ich habe mich zuerst in Gruppen getraut – Yogawochen, Retreats – alleine reisen konnte ich damals noch nicht. Während mein Mann voller Freude alleine wanderte, spürte ich, dass es eigentlich meine eigene innere Einsamkeit war, die mir im Weg stand.

Alleinsein vs. Einsamsein – der wichtigste Unterschied
Vielleicht kennst du das: Du bist unter Menschen, lachst, redest – und innerlich fühlst du dich abgeschnitten. Das ist Einsamkeit.
Einsamkeit ist dieses tiefe Gefühl, keine Verbindung zu sich selbst zu spüren. Und kein Mensch im Aussen kann das heilen. Das kann nur ich. Das kannst nur du.
Alleinsein hingegen ist für mich etwas ganz anderes.Das ist dieses Gefühl von: „Ich wäre jetzt gerne mit jemandem zusammen.“Es ist ein soziales Bedürfnis – aber es ist nicht dieses innere Loch.
Und was viele vergessen:Nur weil jemand allein ist, heisst das nicht, dass er einsam ist.Und umgekehrt kann man mitten im Leben stehen – und trotzdem tiefe Einsamkeit fühlen.
Wenn mein inneres Kind einsam ist
Wenn ich heute Einsamkeit spüre, dann weiss ich:Das ist mein inneres Kind, das meine Aufmerksamkeit braucht.
Dann bin ich zuerst einmal für mich da.Nicht analysieren, nicht zerdenken – einfach spüren, dass da etwas traurig ist.Ich nehme sie symbolisch in den Arm, ich höre zu, ich schenke ihr Wärme.
Mir hilft dabei das Werkzeug der „fiktiven Eltern“, das ich in einer eigenen Podcastfolge noch vertiefen werde. Man kann im Inneren liebevolle Eltern kreieren, die genau das geben, was damals vielleicht gefehlt hat.
Frag dich gern mal: Was braucht dein inneres Kind, wenn du dich einsam fühlst? Nähe? Ruhe? Verständnis? Oder einfach, dass du präsent bist?
Warum Stille für viele so schwierig ist
Zum Alleinsein gehört auch, die Stille auszuhalten. Und das fällt vielen von uns schwer.
Früher war Stille für mich der Horror.In meiner ersten Beziehung hatte ich das Gefühl, die Stille füllen zu müssen – mit Worten, Aktionen, irgendetwas. Die Leere zu übertönen erschien einfacher, als sie zu fühlen.Und wie es kommen musste, kam der Moment, in dem wir uns tatsächlich nichts mehr zu sagen hatten. Diese Stille war für mich unerträglich.
Aber:Man kann alles lernen.
Heute geniesse ich Stille.In meinen Workshops lasse ich sie bewusst stehen, weil ich weiss, dass darin Tiefe entsteht. Auch in meiner Beziehung liebe ich es, einfach nebeneinander zu sitzen, zu lesen, zu sein – ganz ohne Worte.
Warum fällt uns Stille so schwer?Hier ein paar Gründe:
Weil wir uns in der Stille selbst begegnen.Unsere Gedanken, unsere Wahrheit – alles, was wir sonst überdecken.
Weil Stille ungewohnt ist.Wir haben nicht gelernt, mit uns zu sein.
Weil Stille die innere Leere verstärkt.Wenn sie da ist, wird sie im Stillen noch lauter.
Weil Stille uns zeigt, was wirklich ist.In der Stille spüren wir oft, dass Veränderung ansteht.
Weil Stille früher negativ verknüpft wurde.„Nur wer nichts zu tun hat, sitzt herum.“„In der Stille kommen dumme Gedanken.“Oder auch: Wenn es still wurde, war etwas passiert.Für viele Generationen war Stille etwas Bedrohliches.
Was Spiritualität über die Stille sagt
Und wenn wir noch tiefer gehen:In der Spiritualität ist Stille eines der wertvollsten Güter.
Stille wird nicht als Leere verstanden, sondern als Zugang zum Bewusstsein.Es heisst, in der Stille spricht die Seele.In der Stille liegt Heilung.Stille ist das Zuhause des Herzens.
Ich sehe das genau so.Für mich ist es ein Geschenk, dass Stille überhaupt möglich ist.
Wie ich lernte, Alleinsein zu lieben
Mit der Stille kam meine Fähigkeit, alleine zu sein.Heute liebe ich es, allein zu wandern, zu malen, im Café zu sitzen, einfach mit mir zu sein.
Und mein schönstes Erlebnis hatte ich letzten Herbst in Island: Drei Wochen alleine mit Auto und Zelt. Es war der grösste Schritt aus meiner Komfortzone – und gleichzeitig die schönste und kraftvollste Erfahrung meines Lebens.
Ja, die ersten Nächte allein im Zelt waren gewöhnungsbedürftig. Aber dann kam ein Moment – ich weiss noch genau, wie das Licht aussah – in dem ich diese unfassbare Freiheit gespürt habe. Diese Stille, die Landschaft, dieses Gefühl von: „Ich habe mich.“
Das werde ich nie vergessen.
Fazit
Alleinsein bedeutet nicht, einsam zu sein. Wenn du lernst, dich selbst zu lieben und dich in deiner eigenen Gesellschaft wohlzufühlen, entsteht eine unerschütterliche Freiheit.
Dann steht dein Fundament.
Du bist genug. Du bist vollständig. Du bist dein Zuhause.




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