#07 Weltschmerz - und weshalb ich dennoch weitermache
- Karin

- Sep 23
- 7 min read
Engagement für eine bessere Welt
Gerade ist das ein sehr akutes Thema für mich.

Ich engagiere mich schon seit einigen Jahren beruflich für eine bessere Welt. Früher war das mit unserem Catering Zum guten Heinrich in Zürich, mit welchem wir uns gegen den Food Waste eingesetzt haben. Wir haben bei den Bauern das 2.-Qualitäts-Gemüse abgeholt und daraus tolle Gerichte gekocht. Um Menschen zu inspirieren, andere Köche und Gastronomen zu bewegen. Zu hinterfragen, weshalb eine Karotte im Coop eigentlich immer gerade ist und nie drei Beine hat. Wo landet all das dreibeinige Gemüse? Genau darüber haben wir informiert, sensibilisiert und viele Menschen inspiriert. Und doch bin ich nach fünf Jahren ausgestiegen mit dem Gefühl, irgendwie nichts so wirklich erreicht zu haben.
Heute arbeite ich nebst der Teilselbständigkeit in der Holzbaufirma TS3, die eine Technologie entwickelt hat, die revolutionär ist und großflächiges, punktgestütztes Bauen ermöglicht, was sonst nur mit Beton möglich wäre. Mit TS3 öffnet sich im Holzbau also eine völlig neue Welt, völlig neue Möglichkeiten.
Und dann ist da noch meine Selbständigkeit. Ich bin überzeugt davon, dass das Außen nur besser oder anders wird, wenn ich das Innen verändere. Wie das Innen, so das Außen. Ich gehe los dafür, dass wir alle damit beginnen, an uns selbst zu arbeiten, uns weiterzuentwickeln, gemeinsam hinzuschauen, gemeinsam Verantwortung zu nehmen – jeder für sich selbst. Mit meinem Projekt IMPULSUS möchte ich die Arbeitswelt verändern, eine Welt erschaffen, in der wir alle gerne und freudig zur Arbeit gehen. Weil wir uns wohlfühlen, gefordert aber nicht überfordert sind, Menschen treffen, die wir mögen und uns wohlgesinnt sind, und sinnvolle Arbeit verrichten. Und mit ICH BIN ICH möchte ich vor allem die innere Kraft der Frauen stärken. Ich möchte sie dabei unterstützen, zu ihrer eigenen Stimme zu finden, ihr Potenzial voll und ganz zu entfalten und die innere Stimme wiederzufinden.
Ich erinnere mich an meinen ersten Podcast, den ich aufgenommen habe: Liebe, Freude, Eierkuchen. 55 Folgen habe ich aufgenommen, während eineinhalb Jahren im 2021 und 2022.
Alles Projekte, die so toll sind, mein Herz berühren und versuchen, etwas dazu beizutragen, dass diese Welt ein besserer Ort wird, dass wir unseren Nachkommen etwas Tolles hinterlassen können. Diese Projekte fühlen sich für mich so sinnvoll an, so richtig, so nötig. Und doch ging keines davon durch die Decke. Auch mein Podcast nicht. Natürlich hat es mir unendlich Freude gemacht, ich war total stolz auf meinen Podcast, aber ich habe es nicht geschafft, die Schweiz damit zu erreichen.
Begegnung mit meinem inneren Teenager
Und doch gibt es dann Tage wie gestern, an denen ich diesen Frust spüre. Dass doch das alles nichts bringt. Tage wie gestern, an denen ich durch Zürich laufe und das Gefühl habe, den Schmerz aller Menschen um mich herum auf einmal zu spüren. Tage, an denen ich – ohne die Nachrichten zu hören oder TV zu schauen – spüre, dass wir diese Welt ganz langsam zerstören. Und ich spüre Wut. Wut darüber, dass einzelne Menschen auf dieser Welt so viel Macht besitzen, dass sie das Leben von Millionen von Menschen gleichzeitig negativ beeinflussen können. Wut darüber, dass es Menschen gibt, die darüber bestimmen, was auf dieser Welt passiert. Wut darüber, dass ich ohnmächtig bin, dass ich abhängig bin von gewissen Instanzen, dass ich unterlegen bin, dass ich keine Möglichkeiten habe, dem System zu entfliehen.
Diese Wut wurde immer größer, ich implodierte förmlich. (Explodieren war nicht wirklich möglich, da ich im Zug saß). Ich spürte diese Wut, sie war so stark. Ich ließ es zu. Ich holte mein Tagebuch nach vorne und schrieb die Wut nieder. Wie ist es bloß dazu gekommen? Weshalb geschieht so viel Tragisches, Schlimmes, Verrücktes, Unerklärbares, Einfältiges auf dieser Welt? Wie ist es dazu gekommen? Was ist bloß passiert? Was ist denn bloß mit dem Menschen los? Weshalb spüren wir diese Liebe nicht? Wo ist sie überhaupt? Weshalb gibt es so viel Hass und Wut und Frust und Neid auf dieser Welt? Wie ist das nur möglich? Wie ist es möglich, dass wir alle vergessen haben, wo wir herkommen? Welche andere Spezies auf dieser Welt schaufelt sich eigentlich so sehr ihr eigenes Grab, wie wir das tun?
Ich übergab alles dem Papier. Die ganze Wut lief durch die Feder in mein Buch. Ich spürte mein Kochen innerlich. Ich wollte nur noch nach Hause, mich wie eine Schildkröte zurückziehen und nur noch schlafen. „Lasst mich alle in Ruhe“, dachte ich. Ein paar Fluchwörter folgten …
Die Transformation
Ich weiß von mir, dass immer dann, wenn ich nicht in Verbindung mit mir bin, ein innerer Anteil sich querstellt. Das sind die Momente, in denen ich verstehen darf, dass irgendjemand in meinem inneren Team nicht einverstanden ist mit dem, was passiert. Als ich spürte, dass sich meine Wut etwas gelegt hatte, visualisierte ich mein inneres Team. Ich fragte danach und bat darum, dass sich der Querschläger zeigen soll. Das tat er auch. Ich sah ein großes Sofa, in einem Wohnzimmer, darauf fläzte ein männlicher Teenagerjunge. Ich beobachtete ihn erst einmal. Er lag quer auf dem Sofa, tat gar nichts, starrte zur Decke, streckte alle Viere von sich. Um ihn herum lag allerlei: aufgeschlagene Bücher, ein Handy, die Fernbedienung, Magazine, Essen, leere Packungen und so weiter.
Ich trat etwas näher. Der Junge starrte zur Decke, sein Blick war leer. „Was denn los sei“, fragte ich ihn. Er starrte mich an mit einem fassungslosen Blick, als wäre es die dümmste Frage, die ich stellen konnte. „Merkst du es denn nicht? Es macht alles keinen Sinn. Du kannst aufhören. Du kannst aufhören mit all deinen Projekten. Es bringt nichts“, sagte er. „Es bringt alles nichts.“ Ich hörte ihm zu, wie er mir davon erzählt, was aus dieser Welt geworden ist, was wir alles zerstört haben und was wir unseren Enkeln und Urenkeln eigentlich hinterlassen.
Inzwischen saß ich bei ihm auf dem Sofa und ließ ihn reden. Und dann, irgendwann kam Trauer. Irgendwann flachte die Wut ab und da war Trauer. Ich spürte seinen Schmerz und damit verbunden meinen Schmerz. Denn er war ja irgendwie ich. Ich spürte den Weltschmerz in mir und um mich herum. Ich spürte die Schwere, die der Weltschmerz mit sich bringt. Ich spürte die Last und ließ die Tränen fließen. Im Zug. Das ist okay. Ich kam zurück in den Zug, weg vom Sofa. Ich ließ die Trauer zu. Ich akzeptierte es, dass ich jetzt einfach traurig bin – und das ist okay.
Ich sprach weiter mit dem Jungen. Unter Tränen erzählte er mir, dass wir doch so viel tun für eine bessere Welt, aber es ist so anstrengend, manchmal ist es ein Kampf gegen Windmühlen, manchmal werden uns Steine in den Weg gelegt, manchmal ist es einfach so frustrierend, wie langsam es vorwärtsgeht. Natürlich gibt es so viele Projekte, die sich für Nachhaltigkeit einsetzen und die ebenfalls dafür kämpfen, dass die Welt ein besserer Ort wird. Und doch scheint es manchmal so weit weg.
Der Junge ließ sich von mir in den Arm nehmen. Er wurde jünger, immer jünger und kleiner. Irgendwann hielt ich mich im Arm, als kleines Kind. Und plötzlich war es weg. Plötzlich war ich alleine auf dem Sofa. So kam ich zurück in den Zug, zurück ins Jetzt.
Ich ließ erst mal setzen, was hier alles passiert ist. Und irgendwann verstand ich: Das war also mein innerer Teenager. Er rebelliert gegen die Welt, gegen die Ungerechtigkeit, die manchmal vorhanden zu sein scheint. Durch mein Zuhören, mein Zulassen, meine Akzeptanz der Gefühle und Situation durfte er kleiner werden und dann ganz verschwinden.
Und nun? Ich kenne diese Gefühle, die hatte ich schon einmal. Damals etwa im Jahre 2018 oder 2019, als wir mit dem Catering unterwegs waren. Und nun waren sie wieder da.
Mein Lehrer in der Hotelfachschule hat immer gesagt: „Tue Gutes und sprich darüber.“ Genau das tue ich. Ich erzähle dir von mir. Ich erzähle dir davon, wie ich dem Leben begegne, wie ich Probleme löse. Nimm dir davon mit, was du gebrauchen kannst. Wenn du bis hierhin zugehört hast, dann hat das wahrscheinlich einen Grund, einen Sinn. Wie alles im Leben.
Jeden Tag mein Bestes geben
Und so finde ich wieder zurück zu mir. Ich erkenne, dass ich jeden Tag mein Bestes gebe. Jede Nacht liege ich im Bett, gehe den Tag in Gedanken noch einmal durch und darf mit Stolz sagen: Ich habe heute mein Bestes gegeben. Mein Bestes, mit den Ressourcen, die ich heute hatte. Mit den Ressourcen an Zeit, an Selbstliebe, an Geduld mit mir und anderen, an Liebe, an vorhandenen Nerven.
Übrigens fragt eine Freundin von mir genau das immer ihre Kinder, wenn sie eine schlechte Note nach Hause bringen von der Schule: „Hast du dein Bestes gegeben?“ Wenn ja, dann ist das gut genug. Denn besser wäre es ja nicht gegangen. Und übrigens ist das auch eine tolle Strategie, um meine Frau Streng im Kopf etwas zu huldigen. Das Wissen, dass ich mein Bestes gegeben habe. Und weißt du was? Wenn ich nicht mein Bestes gegeben habe, dann ist das auch okay. Dann darf ich herausfinden, was ich denn nächstes Mal anders mache, besser mache. Ganz einfach.
Aber heute habe ich mein Bestes gegeben. Und es kann sein, dass es reicht. Es kann sein, dass ich damit meine Vision erreiche, dass ich Gehör bekomme und möglichst viele Menschen unterstützen darf auf ihrem Weg. Und es kann auch sein, dass es nicht reicht. Dass ich mit Projekten wieder aufhören muss, dass ich Projekte verschieben muss. Und das ist okay. Ich habe für mich entschieden und beschlossen, dass ich so lange weitermache, wie es mir Freude macht. Wenn ich damit die Schweiz erreiche, dann ist das fantastisch. Und wenn ich damit nur 100 Leben in meinem Umfeld bereichere, dann ist das doch schon einmal etwas. Ich liebe es, diese Podcasts aufzunehmen. Ich finde toll, was TS3 macht. Ich liebe mein Coaching. Solange ich das, was ich tue, auch liebe, bin ich doch mit vollem Herzen dabei. Und ich freue mich riesig, wenn ich meine Vision erreiche und möglichst viele Menschen in der Schweiz berühren und bereichern darf. Und wenn nicht, dann soll es so sein. Nichts, was auf dieser Welt passiert, ist ein Zufall. Ich darf für mich aber definieren, wann ich erfolgreich bin. Und das bin ich, wenn ich diese Welt besser verlasse, als ich sie angetroffen habe – durch meine Arbeit, durch mein Sein. Und das kann ich mit gutem Gewissen heute schon sagen.




Comments