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#09 Das innere Team - vom Stimmenchaos zur klaren Führung

Vielleicht kennst du das: In dir reden verschiedene Stimmen durcheinander. Die eine will Gas geben, die andere schreit nach Ruhe. Manche sind streng, andere liebevoll. Dieses innere Stimmengewirr hat einen Namen: Das Innere Team.


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Der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun hat dieses Modell entwickelt. Es beschreibt unsere vielen inneren Anteile wie ein Team – an dessen Spitze du selbst als Teamleitung stehst. Ziel ist es, diese Stimmen bewusst wahrzunehmen, ihre Absichten zu verstehen und zu harmonisieren. So triffst du klarere Entscheidungen und handelst authentischer.

Ich selbst habe mich jahrelang von meinen inneren Anteilen treiben lassen. Sie waren laut, fordernd und oft sabotierend. In meinem Tagebuch von Ende 2019 steht:

„Keiner sieht und versteht was in mir drinnen los ist, ich bin so aufgewühlt, so wild, so laut. ich möchte doch nur zur Ruhe kommen. Keiner lässt mich. Noch mehr, noch weiter, noch grösser. Wo bleibe ich? Ich habe keinen Platz in meinem Leben. Da bleibt keine Zeit für mich. Da ist keine Ruhe. Ich brauche Ruhe. Frieden. Erlösung. Nimm alles weg von mir. Ich brauche Zeit und Raum und Platz. Wo gibt es sowas? Es ist nicht da.“

Meine Stimmen stritten, kritisierten und forderten. Schon am Morgen, mit halb geöffnetem Auge, begann das Gedankenkarussell: „Steh auf! Beweg dich! Los, du musst leisten!“ Ausschlafen? Unmöglich. Meine feine Herzensstimme oder meine Intuition waren zwar da – aber sie wurden erfolgreich übertönt.

Damals dachte ich, das sei normal. Ich wusste nicht, dass man das verändern kann.


Der Wendepunkt: Gewaltfreie Kommunikation

Im Dezember 2019 begann ich meine Ausbildung in Gewaltfreier Kommunikation (GfK). Ich war erschöpft – und plötzlich hörte ich mich selbst die härtesten Gedanken laut aussprechen. Es war ein Schock. Doch gleichzeitig die Erkenntnis:

  • Ich kann das verändern.

  • Ich muss es verändern, um nicht selbst daran kaputtzugehen.

Unser erster Schritt war, die eigenen Werte zu erarbeiten. Werte sind wie ein Fundament im Leben – das, was uns wichtig ist, wonach wir Entscheidungen treffen. Bei mir tauchten Themen auf wie Pünktlichkeit, Engagement, Nachhaltigkeit. Aber auch fremde Werte, die mich prägten, obwohl sie gar nicht meine waren – wie der Leistungsdruck: „Nur wenn du etwas leistest, bist du jemand.“

Kein Wunder fiel es mir schwer, Pausen zu machen. Denn wenn Leistung der einzige Wert ist – was bin ich ohne Leistung?


Dann kam die Übung, unser Inneres Team aufzuzeichnen. Intuitiv entstanden Figuren: „Frau Sicherheit“, „Herr Angst“, „Frau Druck“, „Herr Mut“, „Frau Abenteuer“, „Frau Visionärin“… Das Ergebnis erschreckte mich: Im Zentrum dominierten Angst, Druck, Kampf, Sicherheit und der Kritiker. Die liebevollen Anteile waren winzig im Hintergrund. Genau so fühlte es sich auch im Alltag an.

Im Kurs begannen wir, mit diesen Anteilen ins Gespräch zu gehen. Und plötzlich wurde klar: Jeder Anteil hat eine positive Absicht. Auch die lauten und unbequemen.


Hilfe annehmen – mein Muster

Besonders deutlich wurde mir das in meiner Selbständigkeit. Ich arbeitete in einem Catering-Business und konnte kaum Hilfe annehmen. Immer wenn jemand Unterstützung anbot, fühlte ich mich kritisiert. Ich reagierte über – innerlich wütend, verletzt, abwehrend.

Von außen war das völlig unverständlich: Eine Mitarbeiterin brachte tolle Ideen – und in mir tobte ein „Wutmännlein“. Durch genaues Hinsehen verstand ich: Dahinter lag ein alter Glaubenssatz: „Ich muss es alleine schaffen.“

Also bat ich mein Inneres Team zur Sitzung. Ich stellte dem Wutmännlein Fragen – und hörte: „Wir brauchen keine Hilfe! Wir haben es immer alleine geschafft!“ Nach einiger Zeit zeigte es sich erschöpft und erleichtert, endlich Verantwortung abgeben zu dürfen. Die anderen Teamplayer waren bereit, es zu entlasten.

Das war der Wendepunkt: Hilfe annehmen wurde plötzlich leichter.


Alte Muster – neue Erkenntnisse

Solche Erlebnisse wiederholen sich. Erst kürzlich wurde ich während einer Präsentation kritisiert. Sofort war das alte Gefühl da: Bloßgestellt wie damals in der Schule. Abends reflektierte ich und sah die kleine Karin von damals vor mir. Dieser Anteil wollte mich nur beschützen – damit die alte Verletzung nicht wieder geschieht.

Und genau das ist der Kern: Unsere inneren Teamplayer wollen uns schützen. Auch wenn sie manchmal blockieren, nerven oder uns sabotieren – sie haben gute Absichten.


Mein Fazit aus 6 Jahren Arbeit mit dem Inneren Team

  1. Alles, was sich wiederholt, will gesehen werden.

  2. Themen zeigen sich, wenn sie reif sind.

  3. Im Dialog mit meinen inneren Stimmen finde ich Ruhe und Klarheit.

  4. Hilfe holen ist kein Makel, sondern eine Stärke.

  5. Manche Anteile bleiben dauerhaft, andere tauchen nur für bestimmte Themen auf und verschwinden wieder.

  6. Heute führe ich mein Team – und übernehme die Rolle der Teamleiterin.


Natürlich gibt es Momente, in denen alte Muster zurückkommen. Aber jetzt erkenne ich sie schneller, lade mein Team an den Tisch und finde Lösungen. Das Stimmenchaos ist einem respektvollen Miteinander gewichen.

Und das Wichtigste: Ich habe gelernt, dass mein Inneres Team nicht mein Feind ist – sondern mein stärkster Verbündeter.


 
 
 

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